Die eigenen Grenzen kennenlernen oder wie weit kann ich gehen?

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24 – Stunden – Wanderung mit Hans Kammerlander in Südtirol

Auf dem Selvaggio Blu haben uns Mitwanderer begeistert von Wanderungen erzählt, die 24 und sogar 36 Stunden gedauert haben. Zwei bis drei Stunden gehen, dann einkehren und essen, Energie tanken und weiter geht’s. Alles halb so schlimm, gute Stimmung, tolle Gruppendynamik und es hätte sehr viel Spaß gemacht. Also gut – machen wir auch.

Wir haben uns für die 24 – Stunden – Wanderung 2019 von und mit Hans Kammerlander angemeldet, die in diesem Jahr in seinen Heimatbergen rund um Sand in Taufers, Südtirol stattgefunden hat.

Freitag, 16 Uhr: Treffpunkt im Büro von Hans Kammerlander in Sand in Taufers. Wir lauschen den einleitenden Worten des Extrembergsteigers, der so ganz ohne Starallüren auftritt und sehr bescheiden wirkt.

17 Uhr: Nochmals aufs Klo, mit Riegeln und Obst eindecken und das Willkommensgeschenk sicher verstauen.

17.30 Uhr: Während wir auf die Kleinbusse warten, die uns an den Naveser Stausee (1.860 m), den Ausgangspunkt unserer Wanderung bringen, machen wir erste Kontakte und lernen unsere Mitwanderer etwas kennen. Schwaben, Hessen, Franken, Österreicher, Nordlichter, Neulinge, Alte Hasen, Wiederholungstäter – alles dabei und viele feiern hier ein Wiedersehen mit Freunden aus den letzten Jahren.

18 Uhr: Ich bin etwas nervös, denn der Schlaf ist mein größter Feind. Mal schauen, ob ich es tatsächlich durchhalte… Schließlich haben wir einige anstrengende Tage hinter uns und verzweifelt versucht, die Altlasten auf unserem Schreibtisch abzuarbeiten.

Während es unten im Tal sehr heiß war, haben die meisten hier oben auf 1.860 m üNN unsere Langarmshirts ausgepackt, es windet leicht. Wir stehen am Naveser Stausee mit Blick auf schneebedeckte Dreitausender – mitten im Juli.

Jetzt geht es los – mit 52 Personen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Statur und unterschiedlicher Fitness und vier Bergführern.

19 Uhr: es geht gemütlich bergauf, die Sonne verschwindet gleich hinterm Berg, kein großer Anstieg, gemütliches Tempo, die Gruppe ist eng zusammen und es ist eine Hütte in Sicht. Auf einer Wohlfühlskala von 1 (sehr schlecht) bis 10 (super gut) finde ich mich mit meinem Gesamtzustand auf der 10 wieder.

20 Uhr: Willkommen bei der Edeltraut! Wir sind bei unserer ersten Pausenstation auf der Edelrauthütte (2.545 m) angekommen, mussten vorher noch ein längeres Schneefeld überqueren und es ist etwas kühler geworden. Mein Kreislauf ist in Schwung gekommen, doch die Jacke braucht man hier. Wohlfühlskala: 10

21 Uhr: Wir haben gut gegessen – Putenschnitzel mit Soße, Reis und Kartoffeln dazu Salat und zum Dessert Birnen und einen Espresso. Mein Zustand ist noch immer bei 10 und ich bin gespannt, wie es weitergeht.

21.30 Uhr: 6 Grad Celsius, es geht weiter. Es ist eiskalt.

22.40 Uhr: Jetzt gibt es eine kurze Pause, reicht gerade mal zum Pinkeln und um eine Schicht auszuziehen, dann geht es auch schon weiter. Es ist stockdunkel und mittlerweile wandern wir im Schein unserer Stirnlampen auf dem Naveser Höhenweg. Wohlfühlskala weiterhin auf 10!

Mitternacht: Kurze Pause, meine Augen sind müde. Körperlich fühle ich mich erstaunlicherweise immer noch fit. Jetzt ist es bezogen auf das Wachbleiben echt anstrengend und noch immer zwei Stunden bis zur Chemnitzer Hütte.

Samstag, 1:30 Uhr: So langsam wird es echt zäh. Jegliche Unterhaltung ist verstummt. Die einzigen Geräusche sind noch das Rauschen der Wasserfälle und das Klappern der Wanderstöcke.

2:15 Uhr: Chemnitzer Hütte ( 2.419 m) erreicht. Mir geht es weiterhin super, Wohlfühlskala 8 bis 9. Ich bin nach wie vor Augenmüde, habe gleichzeitig festgestellt, dass es sehr cool ist bei Nacht zu laufen, denn ich fokussiere mich auch mich selbst und die anderen 51 Personen spielen überhaupt keine große Rolle.

Chemnitzer Hütte – Stimmungsvoller Abschied

3:20 Uhr: Aufbruch – wir haben gespeist, wir haben warmen Tee getrunken, der Sohn des Hüttenwirtes hat uns mit zünftiger Akkordeonmusik verabschiedet und die Stimmung ist großartig. Es geht weiter in Richtung Sonnenaufgang. Wohlfühlskala 9.

4:30 Uhr: kurze Pause. Es wäre schon, mal eine klare Ansage zu bekommen: Machen wir nun wirklich Pause, reicht die Zeit zum Pinkeln? Wo sind wir gerade und wie lange sind wir bis zur nächsten Hütte unterwegs?

5:10 Uhr: Trinkpause! Es ist mittlerweile wieder hell, die Sonne ist jedoch noch nicht aufgegangen. Wohlfühlskala 8.

6:00 Uhr: Mein persönlicher Motivationstiefpunkt ist erreicht. So wie das Tageslicht zunimmt, nimmt die Interessantheit des Weges ab. Gefühlt wandern wir seit Stunden einen langweiligen, von Wiesen umrahmten Kellerbauer-Höhenweg entlang. Ohne Herausforderung, so dass ich langsam müde werde. Wohlfühlskala 5

6:30 Uhr: Pause – Sind wir jetzt auf dem angekündigten Speickboden? Wir sind auf jeden Fall nicht auf einem Gipfel. Ansage? Fehlanzeige! Die Sonne kommt langsam raus, doch es ist so zäh. Man munkelt, noch 2,5 h bis es einen Kaffee gibt… Wohlfühlskala 4.

8:00 Uhr: Meine Motivation ist auf dem Tiefpunkt angelangt. Der Kellerbauerweg ist langweilig und zieht sich gefühlt seit Stunden am Berghang entlang ohne Abwechslung. Die Müdigkeit hängt über mir wie ein Fischernetz, das sich immer enger zuschnürt und bei jedem Schritt habe ich die Befürchtung gleich einzuschlafen. Sonnenaufgang? Spektakulär ist anders. Ist die Sonne überhaupt aufgegangen? Muss wohl so gewesen sein, sonst wäre es wohl nicht hell. Sehen können wir die Sonne nicht, der Himmel ist wolkenverhangen. Wahrscheinlich zum Glück, sonst wäre es wahrscheinlich bereits jetzt unerträglich warm. Wohlfühlskala 3

9:00 Uhr: Die Motivation ist auf dem Tiefpunkt. Es war vorher definitiv nicht der Speickboden, denn wir haben soeben einen Wegweiser passiert, mit der Auskunft „Speickboden 2h50“. Das sieht eher nach Mittagessen aus auf der Speickbodenalm. Dabei sehnen wir uns alle nach einer Tasse Kaffee und einem Frühstück und nach einer klaren Ansage, wann es wohin geht und wann es was zu essen gibt.

10:15 Uhr: Hurra, wir haben unseren Frühstücksplatz gesichtet. Mal schauen, ob es auch wirklich was zu mampfen gibt. Doch zuvor geht es noch sehr steil in Serpentinen hinunter. Jetzt fängt plötzlich einer der Bergführer an, sich wichtig zu machen, weil einige von uns ihn auf den letzten Metern des Weges überholt haben: „Wer geht vorne? Da gehst du mal schnell zurück und zahlst gleich die ersten zehn Runden…“ Wohlfühlskala -1.

11:30 Uhr: Wir haben gefrühstückt und der Kaffee hat uns wieder wachgemacht. Die nächsten elf Kilometer geht es steil bergab und das obwohl es eine Bergbahn gibt. Da es schon die letzte halbe Stunde vor dem Frühstück steil bergab ging und die Kniee stark beansprucht wurden, entschließen sich mein Mann und ich für die knieschonende Talvariante: wir nehmen die Bergbahn hinunter ins Tal. Wohlfühlskala 8.

12:00 Uhr: Im Tal angekommen, nutzen wir die Zeit bis die Wanderer hier ankommen, um uns im Hotel kurz frisch zu machen.

14:00 Uhr: Wir sind zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort, doch die Gruppe fehlt. Durch einen Zufall erfahren wir, dass wir an der falschen Brücke stehen – 5 min Wegstrecke von Hans sind halt 15 min für uns….

14:20 Uhr: Wir finden die anderen an der Burg Taufers und gönnen uns dort ein schnelles Radler.

14:30 Uhr: Der Trupp wandert weiter zu den Reiner Wasserfällen – Mein Mann und ich schauen uns an und sind uns einig: Eiskaffee klingt besser.

15:00 Uhr: Wir sitzen in der Ortsmitte von Sand und genießen unseren Eiskaffee. Das Orgateam von Hans spricht uns an, wir sollen unbedingt nachher bei der Abschlussparty dabei sein.

18:00 Uhr: Ich liege in meinem Hotelbett und schlafe tief und fest. Wohlfühlfaktor 10. Mein Mann geht indes zur Abschlussparty auf den Marktplatz, zischt ein paar Bierchen und nimmt unsere 24h-Wanderung- Urkunden in Empfang….

Fazit:

Durch die Nacht zu wandern und ganz bei sich zu sein, war eine tolle Erfahrung. Die Organisation war super, die Verpflegung hervorragend. Wider Erwarten war es sehr harmonisch mit über 50 Personen in einer langen Menschschlange zu wandern.

Für mich wird es dennoch keine Wiederholung geben, denn wandern, damit die 24 Stunden voll sind, ist nicht mein Ding. Ich ziehe es vor, mich stundenlang auf einen Gipfel zu quälen und ich liebe das Begehen technisch schwieriger Etappen.

Wir sind froh, noch einige Tage verlängern zu können und noch einige Touren u.a. auf den Großen Moosstock (3.049 m) und das Fernerköpfel (3.249 m) zu gehen – eine ideale Vorbereitung für unsere kommende Urlaubstour in Ladakh.

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