Gegensätze ziehen sich an

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Das Gefühl der Einsamkeit im Thurbruch und ein Hauch von Großstadt in Swinemünde

Um meinen Radius zu vergrößern, habe ich mir ein typisch gelbes Usedomer Rad gemietet und bin meiner Wanderkarte vertrauend einfach drauflos gefahren. Mein Ziel sollte das Thurbruch sein, ein großes ehemaliges Moorgebiet im Hinterland der bekannten Kaiserbäder Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck im Süden der Insel Usedom. Seinen Namen hat das Gebiet von der slawischen Bezeichnung für Ur oder Auer, denn bis Mitte des 14. Jahrhunderts haben hier Thure, also Auerochsen, gelebt.

Vom Bahnhof Bansin ausgehend radle ich über Bansin Dorf entlang einer nahezu  unbefahrenen Straße über Alt-Sallenthin, Rötzow und Labömitz bis nach Katschow – ein kleines Dörfchen mit einer Durchfahrtsstraße aus Kopfsteinpflaster. Hier merke ich, dass weder auf die Beschilderung der Radwege noch die Darstellung in meiner Karte Verlass ist. Weil ich den eingezeichneten unbefestigten Radweg nicht finden kann, entscheide ich mich für ein weiteres Stück entlang der Straße – auch hier fast ohne Autoverkehr – um nach Kachlin zu kommen. Jetzt geht es weiter über alte Plattenwege aus der DDR-Zeit direkt ins Thurbruch.

Waren zuvor in den Dörfern wenigstens noch einige Menschen zu sehen, so bin ich jetzt mutterseelenallein – im Moor.

Nein, nicht ganz – auf dem Plattenweg durch das ehemalige Moor. Schnurgerade zieht sich der Weg  von Süd nach Nord, vorbei am Windkraftschöpfwerk und am Kachliner See, der hinter dem Schilf zu erahnen ist. Ich spare mir den Abstecher dahin, das ist mir dann doch zu unheimlich.

Dann habe ich es geschafft und erreiche die Autostraße nach Ulrichshorst, ein langgezogenes Straßendorf wie ich es so noch nie gesehen habe, und mir begegnen tatsächlich weitere Radfahrer. Ich bleibe auf der wenig befahrenen Straße bis nach Korswandt und da taucht rechter Hand der Wolgastsee auf und lädt zum Tretbootfahren ein. Darauf verzichte ich heute, weil ich ja noch eine lange Strecke vor mir habe.  Ich folge der Beschilderung in Richtung Ahlbeck in einen wunderschönen Wald und kämpfe mich mit meinem Hollandrad die Steigung hoch.

Damit hatte ich nicht gerechnet und das nächste Mal werde ich mir zumindest ein Trekkingrad ausleihen.

Auf der anderen Seite freue ich mich, dass ich endlich mal konditionell etwas gefordert werde. Ich erreiche Ahlbeck und nehme den Radweg entlang der vierspurigen Straße, der direkt nach Swinemünde in Polen führt. Die ehemalige Grenze ist gut auszumachen, auch weil sich schlagartig das Ambiente ändert. Ich bin in Polen und irgendwie sehe ich das auch. Es ist nicht direkt offensichtlich doch es ist spürbar. Ich folge dem Radweg bis ich nach einem kurzen Orientierungsproblem die Swine erreiche und schließlich den Hafen und die Innenstadt.

Klein, fein und sehr mondän präsentiert sich die polnische Stadt, die flächenmäßig etwa ein Sechstel der Insel ausmacht, in der jedoch fast drei Viertel der Bevölkerung der Insel Usedom lebt. Ich suche den Weg zur Strandpromenade, die mit 12 km die längste Europas ist und Swinemünde, Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin verbindet.

Während ich am Vormittag noch gezweifelt habe, ob hier überhaupt jemand Urlaub macht, bin ich mir jetzt sicher, dass Usedom ein attraktives Ferienziel ist.

Die Touristen scheinen sich alle auf der Flaniermeile verabredet zu haben. Immer wieder mache ich einen Abstecher zum Strand und genieße einen herrlichen Blick auf die Ostsee um dann auf der Promenade zurück nach Bansin zu radeln. Zurück in meinem Hotelzimmer bin ich froh, den Tourismustrubel hinter mir gelassen zu haben. So unheimlich es im Thurbruch war, zum Abschalten und Entspannen ist das Hinterland viel geeigneter als die Strandpromenade.

Kleiner Exkurs: Was ist das Thurbruch?

Das Thurbruch ist das Ergebnis der Eisschmelze in der Bronzezeit, wo sich anschließend im Wechselspiel von Wasser und Wärme Moore gebildet haben. Bald wuchs dort dichter Bruchwald und die Thure siedelten sich an. Die Slawen haben das Gebiet ab dem 7. Jahrhundert zögerlich von den Rändern her für die Landwirtschaft genutzt. Im Laufe der Zeit wurde der Wert des Torfes als Brennmaterial erkannt und es wurde versucht, das Moor trockenzulegen. Im letzten Jahrhundert wurde bis Mitte der 50ger Jahre der Torf industriell gestochen. Danach sollte das Thurbruch in einem großangelegten Projekt umgestaltet und einer neuen Nutzung unterzogen werden: Gräben wurden gezogen, eine Asphaltstraße und unzählige Betonplattenwege wurden gebaut und  eine 1.600 Hektar große baumlose Gründlandschaft sollte intensive Tierproduktion ermöglichen. Mit der Wiedervereinigung 1990 wurde das Projekt gestoppt und seither steht die Bewahrung der Kulturlandschaft im Vordergrund.

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