Unser erster Sechstausender – Besteigung des Stok Kangri (6.154 m)
2 Tage Pause, Klamotten gewaschen und zurück in die Einsamkeit der Berge. Mittlerweile habe ich mir eine Kniebandage besorgt, die Schmerzen halten sich in Grenzen, so dass ich beschließe mit Marcus gemeinsam unseren ersten 6.000er zu wagen.
Mit dem Auto werden wir bis in den Ort Stok gebracht, wo unser Gepäck zusammen mit den Zelten und Lebensmittel auf Pferde gepackt wird. Am Meetingpoint ist echt was los – wir sind wohl nicht die Einzigen, die auf den Stok Kangri wollen.
Gemütlich machen wir uns auf dem Weg – zur Sicherheit hat unser Guide ein Pferd besorgt, das uns begleitet, sollte mein Knie mich verlassen. Erstaunlicherweise geht es schmerzfrei bergauf – und die Landschaft hat einiges zu bieten: traumhafte Panoramablicke und herrliche Farben. Wir genießen den recht steilen Aufstieg, doch da wir gut akklimatisiert und mittlerweile auch trainiert sind, kommen wir zügig voran und erreichen das Basecamp 1 noch im Sonnenlicht.
Von hier haben wir freien Blick auf unser Ziel, den Stok Kangri
Wir genießen trotz überfüllten Campingplatzes unsere Zweisamkeit und die letzten Sonnenstrahlen, bevor wir unseren Schlafplatz herrichten und uns bis zum Abendessen in die warmen Schlafsäcke verkriechen. Seit die Sonne sich hinter den Gipfeln verzogen hat, ist es eisig kalt, schließlich sind wir auch wieder auf 4.000 Meter Höhe.
Das Abendessen nehmen wir heute im Kochzelt ein und sind wieder mal erstaunt, welch fabelhafte Speisen unser Koch auf kleinstem Raum und einfachen Verhältnissen zaubern kann. Am nächsten Morgen machen wir uns bei strahlendem Sonnenschein auf den Weg zum Basecamp 2 und hoffen, dass das Wetter bis zum nächsten Abend keine Kapriolen schlägt.
Wie zu erwarten, ist auch dieses Lager sehr gut besucht.
Nur mit Mühe finden wir noch einen Platz für unsere Zelte, am oberen Ende des Platzes, dort wo alle Gipfelaspiranten in der Nacht vorbeikommen werden… Zur Akklimatisation gehen wir auf den ersten Pass. kurz und steil – und genießen dort die herrliche Aussicht, müssen jedoch auch feststellen, dass unser Weg zum Gipfel ab hier im Schnee verlaufen wird.
Früh legen wir uns schlafen und nehmen wahr, dass bereits um 21.30 Uhr die ersten Gruppen in Richtung Gipfel aufbrechen. Wir stehen um 1 Uhr auf und machen uns nach einem kurzen Frühstück auf den Weg: Wieder auf den Pass, dann durch den Schnee. Zunächst führt uns der Weg am Hang entlang bis zum ehemaligen Basecamp 2, wo wir die erste kurze Pause machen.
Wir sind heute sehr zügig unterwegs und es ist eiskalt.
Dann überqueren wir den Gletscher und sehen die ersten Stirnlampenlichter weit über uns. Die Lichter kommen näher und wir registrieren, das sind die ersten Bergwanderer, die aufgegeben haben und umkehren. Viele weitere sollten uns im Laufe des Aufstiegs noch begegnen.
Wir können unser Tempo halten, das Gelände wird steiler und wir erreichen schließlich eine große Gruppe am steilsten Teilstück. Der Weg schlängelt sich in Serpentinen bis zum Grad, doch die Gruppe blockiert den Pfad komplett.
Ich freue mich über die kurze Verschnaufpause, doch weil es zu kalt ist, um ständig zu warten, entscheiden wir uns für den shortcut und gehen in direkter Linie durch den ungespurten Tiefschnee nach oben. Das Tempo wird kurz angezogen, der Puls geht nach oben und ich bin sehr erstaunt, was mein Körper zu leisten in der Lage ist. Wir ziehen an der Gruppe vorbei als ob es ein Kinderspiel wäre, dabei sind wir inzwischen auf einer Höhe von 5.600 Metern.
Die letzten Meter bis zum Grad sind schwer, insbesondere weil die Füße eiskalt sind.
Wir haben eindeutig die falschen Schuhe dabei.
Zwar Steigeisenfest aber nicht wintertauglich. Also Füße wärmen, Steigeisen anziehen und Eispickel auspacken.
Die ersten Gipfelstürmer kommen uns entgegen, während wir den Sonnenaufgang und das Panorama zu genießen versuchen. Mal sehen wie lange wir bis zum Gipfelkreuz brauchen. Immerhin, das Knie macht keine Probleme, keine Schmerzen. Lediglich die Höhe macht sich bei mir in Form leichter Übelkeit bemerkbar. Weiter geht es, das Gelände wird schwieriger. Ohne Schnee wäre hier wohl Blockkletterei angesagt. Wir steigen durch Schnee und über Felsen hinauf, die Luft wird allmählich dünn und das Tempo deutlich reduziert.
Mehrmals denke ich daran umzudrehen, die Übelkeit nimmt zu, die Anstrengung auch. Doch ich möchte dieses Mal unter Beweis stellen, dass ich das Quäl-Gen doch besitze und kämpfe mich Schritt für Schritt nach oben: Schritt – Atemzug – Schritt
Nicht nachdenken, wie weit es noch ist, sondern einfach im Rhythmus bleiben. Schon wieder ein Fels, der einen überdimensional langen Schritt verlangt, was überdimensional viel Kraft kostet. Wo ist der Gipfel? Warum kommt der nicht näher? Die nächste Biegung – wie immer noch so weit? Das ist unglaublich, wir nähern uns gefühlt diesem Gipfel einfach nicht. Also weiter Schritt – Atemzug – Schritt, nicht nachdenken, einfach weitergehen.
Und dann haben wir eine Seilschaft erreicht, die noch langsamer ist als wir. Gemeinsam meistern wir die letzten Meter und plötzlich stehen wir am Gipfel.
Kaputt doch unendlich glücklich mit Pipi in den Augen. Es hat sich gelohnt – das Gefühl ist fantastisch und der Ausblick atemberaubend. Hohe Bergspitzen im 360 Grad Panorama und dabei sind wir selbst schon auf 6.154 Meter.
Unfassbar. Umwerfend. Atemberaubend.
Schnell einige Fotos machen, es ist kalt hier und nix wie runter. Unser Guide besteht beim Abstieg auf einer Seilschaft, also ziehen wir den Klettergurt an und binden uns fest. Langsam aber stetig steigen wir ab und die Sonne beginnt uns zu wärmen.
Welch ein schönes Gefühl.
Weitere Gruppen kommen uns entgegen und werden wohl die letzten Meter meistern. Am Abend erfahren wir, dass in der Nacht 50 Personen losgezogen sind und nur 20 den Gipfel erreicht haben. Alle anderen mussten wegen Erschöpfung oder Höhenkrankheit umkehren.
Zurück am Grat entledigen wir uns der Steigeisen und der Gurte und nehmen das steilste Stück der Tour in Angriff. Und jetzt meldet sich mein kaputtes Knie – zu Recht, denn die Belastung ist trotz Wanderstöcken riesig groß und wir sind auch schon seit acht Stunden unterwegs. Dennoch – es gibt jetzt keine Alternative mehr – ich muss da irgendwie runter.
Hingegen meiner normalen Gewohnheit schleiche ich heute den Berg hinab und brauche eine gefühlte Ewigkeit, bis wir endlich wieder im Basecamp 2 sind. Mein Knie schmerzt ziemlich, doch das ist jetzt egal, denn wir haben es geschafft und ab hier gibt es ja zur Not wieder Pferde.
Wir genießen den Willkommenstee und Kaffee und lassen uns feiern:
Es hat sich mittlerweile im Basecamp herumgesprochen, dass wir auf dem Gipfel waren und wir sind gefragte Interviewpartner. Insbesondere die indischen Guides (!) suchen das Gespräch mit uns, um sich nach unserer Startuhrzeit, der Dauer sowie den Weg- und Schneeverhältnissen zu erkundigen.
Am nächsten Tag steigen wir direkt ab zum Ausgangspunkt in Stok und haben starken Gegenverkehr: viele indische Reisegruppen, die direkt aus dem Flachland nach Leh fliegen und ohne Akklimatisation ins Basecamp 1 aufsteigen. So begegnen uns schon im unteren Abschnitt leichenblasse Gestalten, die sich mühsam dahinschleppen. Kein Wunder, dass nur ein Bruchteil der Wanderer den Gipfel erreicht.
India’s Stok Kangri Peak to Close for 3 Years: The Adventure Tourism Industry Reacts
One of India’s highest trekking peaks, Stok Kangri will be closed for the entirety of 2020-22. The Outdoor Journal reached out to the Indian adventure industry for comments.
The Outdoor Journal, 10. Dez. 2019